Los 6632
Kersting, Georg Friedrich
(1785 Güstrow - 1847 Meissen)Interieur mit Fensterausblick
Schätzung
75.000€ (US$ 83,333)
Abgabe von Vorgeboten möglich
Aus dem Katalog
Zeichnungen des 16. bis 19. Jahrhunderts
Auktionsdatum 28.11.2025


Interieur mit Fensterausblick.
Feder in Schwarz und Pinsel in Grau auf Whatman-Velin. 28,8 x 34,4 cm. Unten rechts monogrammiert "GK" (ligiert). Wz. "J. Whatman 1838".
Georg Friedrich Kerstings schuf mit seinen Interieurs die bekanntesten Innenraumdarstellungen der deutschen Romantik. Wie Caspar David Friedrich, mit dem ihn eine enge Freundschaft verband, hatte er an der Kunstakademie in Kopenhagen studiert (1805-1808). Die klare Bildsprache und ausgesprochene Sensibilität für Lichtwirkungen dieser Schule prägten sein Werk ganz entschieden. Anschließend ging Kersting nach Dresden. Hier stellte er 1811 erstmals Interieurs aus - zwei Atelieransichten mit den Künstlerfreunden Gerhard von Kügelgen und Friedrich bei der Arbeit. Schon da zeigt sich, dass seine Raumdarstellungen keine anekdotisch schildernden Bilddokumente sind. Entrückt von dem bitteren Alltag während der französischen Okkupation und der Jahre unmittelbar danach, sind sie in sich abgeschlossene Welten, die in ihrer Reduziertheit kaum etwas über die Gewohnheiten und die Persönlichkeit ihrer Bewohner erzählen. Es geht Kersting vielmehr um das Einfangen einer kontemplativen Atmosphäre. Die nüchterne Leere wird dabei zur Echokammer für die friedliche Stille, die in den Bildern spürbar präsent ist.
Vorliegendes Interieur zeigt einen sparsam möblierten Wohnraum im Biedermeierstil: Links eingerichtet ist eine Sitzecke mit Canapé, kleinem Rundtisch und Stuhl vor einem Trumeauspiegel, rechts steht eine Kommode unter einem zweiten Spiegel, daneben ein altmeisterliches Porträt an der Wand. Werner Schnell hob die Bedeutung der Zeichnung aufgrund des deutlich sichtbaren Liniengerüstes hervor, das wertvolle Rückschlüsse auf die präzise Vorgehensweise Kerstings beim Konstruieren seiner Zimmerbilder erlaubt. Das Blatt durchkreuzen je eine waagrechte und senkrechte Zentralachse, die sich im Fenster in der Bildmitte treffen. Entlang dieser Linien verläuft vertikal die Mittelstrebe des Fensterrahmens, während die Horizontale die Fensterwand im Goldenen Schnitt harmonisch teilt. Zahlreiche Einstichpunkte im Papier zeugen davon, dass Kersting von diesem Fluchtpunkt ausgehend das Bild sorgfältig zentralperspektivisch komponierte.
Die Ausrichtung des reduzierten Möbelinventars und der fluchtenden Seitenwände lenken den Blick ganz natürlich auf die Fensteröffnung. Diese Anziehungskraft wird dadurch verstärkt, dass dort die hellste Fläche auf dem Papier ist. Doch unser Blick kann nicht weiter in die Ferne schweifen, versperrt doch eine Häuserfront abrupt den Ausblick. Durch diesen kompositorischen Kunstgriff wirft Kersting den Betrachter wieder in den Raum zurück. Verstärkt wird dieser Innenraumbezug durch die beiden Spiegel, die das Zimmer im Gegensatz zum Fenster nach innen öffnen und die Blickwinkel auf das Interieur multiplizieren. So schafft Kersting ein harmonisches Gleichgewicht zwischen Außen- und Innenwelt, zwischen den Kräften, die den Blick aus dem Fenster lenken, und jenen die ihn innerhalb der Grenzen des Zimmers verankern.
Wie in allen seinen Zimmerbildern war für Kersting neben diesen raumperspektivischen Aspekten die Behandlung von Licht die vielleicht zentralste künstlerische Aufgabe. Einzige Beleuchtungsquelle ist hier das große, nach Süden ausgerichtete Fenster; eine Art Bild im Bild mit der Ansicht des oberen Abschlusses einer Häuserfront und des dahinter gelegenen Kirchturms. Von hier strömt heller Sonnenschein in das Zimmer herein und definiert subtil moduliert die Flächenaufteilung des Raumes und das darin befindliche Mobiliar. Bei genauerem Hinsehen wird deutlich, dass Kersting den Lichteinfall unter Annahme zweier unterschiedlicher Sonnenstände simulierte. So wirft der Stuhl zwei sich überschneidende Schatten auf den Boden. Links überlagern sich diese mit den beiden ovalen Schattenrissen des Tisches, an der Decke zeichnet sich zweifach die Silhouette der Lampe ab, während in der rechten Ecke der Schattenwurf der Kommode einmal kurz und dunkel frühere Tagesstunden und ein weiteres Mal langgezogen und hell die sich neigende Sonne suggeriert.
Das neuentdeckte Wasserzeichen mit der Jahreszahl 1838 legt den Entstehungszeitpunkt der Zeichnung in das letzte Lebensjahrzehnt des Künstlers, der 1847 stirbt. Damit gehört sie anders als bislang angenommen zu Kerstings Spätwerk. Das widerlegt die weit verbreitete Annahme, seine Kunst habe nach Antritt seiner Beamtenposition als Malervorsteher der Meißener Porzellanmanufaktur im Jahr 1818 an Qualität eingebüßt. Wir begegnen auf dem Blatt einem selbstsicheren und nach wie vor neugierig forschenden Zeichner auf dem Höhepunkt seines Könnens. Bei der Wahl und Positionierung des Mobiliars ist das ästhetische Prinzip der Schlichtheit und Reduktion perfektioniert, die Lichtregie ist meisterhaft, die Ausführung von einnehmender Präzision.
Gezeichnete Zimmerbilder von der Hand Georg Friedrich Kerstings sind überaus rar. Lediglich dreizehn Blatt sind bekannt, von denen sich acht in musealen Sammlungen befinden und eines als verschollen gilt (vgl. Schnell A 80, A 119, A 120 und B 66-75). Somit ist vorliegendes Blatt eines der letzten in Privatbesitz. Die Zeichnung darf mit ihrem unvergänglichen Spiel von Licht und Stille außerdem als eine der herausragenden in Kerstings zeichnerischem Œuvre und überhaupt als eine Ikone romantischer Interieurbilder gelten. Die Darstellung wird hier erstmals in ihrer Vollständigkeit präsentiert werden, da sie in den bisherigen Publikationen nur ausschnitthaft gemessen und abgebildet wurde.
Provenienz: Der Antiquar - Roland A. Exner, Hannover, Auktion 28 am 17. März 1979, Los 123 (mit Abb.).
Seither Privatsammlung Hannover.
Ausstellung: Rooms with a View. The Open Window in the 19th Century, Metropolitan Museum of Art, New York, 5. April - 4. Juli 2011.
Literatur: Werner Schnell: Georg Friedrich Kersting (1785-1847). Das zeichnerische und malerische Werk mit Œuvrekatalog, Berlin 1994, S. 350, Nr. B 67 ("Interieur II"), mit Abb.
Sabine Rewald (Hrsg.): Rooms with a View. The Open Window in the 19th Century, Ausst.Kat. New York, New Haven/ London 2011, Kat. 57.
Wir bitten darum, Zustandsberichte zu den Losen zu erfragen, da der Erhaltungszustand nur in Ausnahmefällen im Katalog angegeben ist.
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